Die Gründung der heutigen Schokoladenfirma Felchlin in Schwyz geht aufs Jahr 1908 zurück. Am Anfang stand der Handel mit Honig im Zentrum, erst später kam die Schokolade dazu. Doch bereits 1878 startete Nazar Felchlin aus Steinen mit der Destillation von Kirschwasser, zusammen mit seinem Geschäftspartner und Schwager Alfred Schindler aus Arth, dem Bruder des Luzerner Liftpioniers Robert Schindler. Das Kirschwasser aus Schwyz verkaufte sich sehr erfolgreich und wurde international mehrfach ausgezeichnet. Mit dem Tod von Nazar übernahm seine Frau Carolina 1891 die Firma und Schindler gründete im gleichen Jahr seine eigene Kirschbrennrei im benachbarten Seewen. Alfred Schindler betätigte sich auch als Kunstmaler und gestaltete die Etiketten für seine Kirschflaschen selber. Ab 1918 ging die Brennerei Schindler an die Destillerie von Josef Landtwing in Seewen und Schwyz über. 1908 vegrösserte Witwe Carolina Felchlin-Schuler den Betrieb und in der Folge übernahmen drei ihrer Söhne das Kirschwassergeschäft, welches im Jahr 1953 eingestellt wurde. Ihr vierter Sohn Max startete 1908 mit dem besagten Honighandel, woraus sich die «Max Felchlin AG» entwickelte.
mehr Text
Der Name Felchlin steht seit über 100 Jahren für Edelschokolade und Spezialprodukte aus der Innerschweiz. 1908 begann der gelernte Kaufmann Max Felchlin-Fäh I. (1883–1970) aus Steinen, Sohn von Nazar Felchlin II. und Carolina Felchlin-Schuler, in Schwyz mit Honig zu handeln. Er legte damit den Grundstein der heutigen Firma «Max Felchlin AG» mit 135 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von rund 50 Millionen Franken. Doch der Honighandel bildete damals nur einen kleinen Betriebszweig der erfolgreich tätigen «Destillerie Felchlin», die wohl bereits 1878 gegründet worden war.[169]
Drehen wir das Rad der Geschichte nochmals zurück in die Anfänge der Kirschbrennerei Felchlin: Auf einer Etikette einer Flasche «Crème-de-Kirsch» von Felchlin, die auf einer Inseratvorlage abgebildet wurde, ist der 1. Oktober 1878 als Gründungsdatum überliefert. Eine andere Quelle nennt die Jahreszahl 1879. Gesichert ist, dass Nazar Felchlin II. (1851–1891) aus Steinen, zusammen mit Geschäftspartner Alfred Schindler aus Arth, 1881 die «Kirschwasser-Destillation-Schwyz, N. Felchlin & Co.» beim «Eidgenössischen Amt für Fabrik- und Handels-Marken» eintragen liess. Dieser Geschäftspartner Alfred Schindler (1847–1929) war der Bruder von Robert Schindler (1850–1920), dem Mitbegründer der 1874 entstandenen Firma «Schindler» in Luzern, die zuerst Maschinen und später die weltbekannten Aufzüge herstellte. Alfred Schindler war in zweiter Ehe mit Bertha Schuler verheiratet, der Tochter von Richter Dominik Schuler vom Gasthaus «Hirschen» und der Schwester von Carolina Schuler, die ihrerseits mit dem Apotheker und Chemiker Nazar Felchlin II. liiert war. (korrigierte Fassung) Felchlin betätigte sich als Direktor des gemeinsamen Unternehmens «Distillerie d’Eau de Cerises de Schwyz» und besorgte den Kirscheneinkauf und die Destillation, Schindler kümmerte sich als Kaufmann und Reisender vor allem in Italien und Frankreich um den Absatz. Das Unternehmen entwickelte sich positiv und wurde schon in den Anfängen mehrfach ausgezeichnet, so 1883 an der Weltausstellung in Amsterdam, 1884 an der internationalen Gesundheitsausstellung in London und 1889 an der Weltausstellung in Paris.[170]
Als Nazar Felchlin II. 1891 mit nur 30 Jahren an der Leberzirrhose starb, übernahm seine Witwe Maria Carolina Victoria Felchlin-Schuler (1861–1929) die Geschicke der Firma, offenbar sehr zum Missfallen ihres Schwagers Alfred Schindler. (korrigierte Fassung) Umgehend stieg Schindler aus und gründete 1891 sein eigenes Geschäft, die «Kirsch-Destillation Schwyz, Alfred Schindler, Alleininhaber». An der Bahnhofstrasse 160 im schwyzerischen Seewen baute er ein stattliches Brennereigebäude und betätigte sich als Destillateur. Daneben schuf er sich auch als autodidaktischer Kunstmaler einen Namen. Neben phantastischen historisierenden Gemälden gestaltete Schindler eigene und unverkennbare Flaschenetiketten, Werbedrucksachen oder Firmenschilder mit skurrilen Landschaften sowie Löwen und Bären als Wappentieren. Die spätere Liftfirma Schindler seines Bruders verwendete diese Etiketten regelmässig für Kirschflaschen, welche sie an ihre Kundschaft verschenkte.[171] Wegen fehlender Nachfolge ging die florierende Brennerei von Alfred Schindler ab 1918 an die Destillerie von Josef Landtwing in Seewen und Schwyz über.
Die Witwe Carolina Felchlin-Schuler, die Schwester von Kirschbrenner Dominik Schuler im «St. Gotthard» in Seewen, erwies sich als tüchtige Geschäftsfrau. 1892 liess sie die Firma unter «Kirschdestillation C. Felchlin Schwyz, Inhaberin Frau Carolina Felchlin-Schuler» ins Handelsregister eintragen und bewarb das Unternehmen im Briefkopf als «ältestes und ausgedehntestes Spezialgeschäft». Der Destillationsbetrieb unter weiblicher Leitung wurde mehrfach mit Goldmedaillen ausgezeichnet, so 1894 in St. Petersburg, 1896 in Genf, 1900 in Paris und 1905 in Lüttich. 1896 siedelte sie den Betrieb im «Lützenried» an der Bahnhofstrasse 19 in Schwyz an. Zuvor hatte sie die Brennerei bei der «Villa Jütz» im «Maihof» in Schwyz und dann bei Destillateur Alois Gianella an der Steinerstrasse 36 in Schwyz betrieben. 1908 vergrösserte sie den Betrieb deutlich.[172] Die Brennerei befand sich im neu erstellten Fabrikgebäude unterhalb des Wohnhauses, das als Geschäftssitz diente. 1951 wurde das Gelände mit der Fabrik von der oberen Villa abgetrennt und verkauft, 1994 abgebrochen. Neben der Spezialität des Kirschwassers produzierte und importierte Felchlin auch «Rhum», «Cognac», «Champagner», «Enzian», «Wacholder», «Magenbitter», «Vermouth», «Malaga», «Madeira», «Marsala», «Pfeffermünz», «Bergamotte», «Absinthe» und diverse Sirupe.[173]
In Zusammenhang mit einer Kirschwasser-Affäre, bei welcher der Zuger Destillateur Carl Landtwing im Jahr 1909 wegen unerlaubten Kirschverschnitts angeklagt wurde, kam es auch zur Einvernahme der beiden Schwyzer Destillateure G. Fassbind und C. Felchlin durch das Bezirksamt Schwyz. Es stellte sich die Frage, ob es unter den Destillateuren als allgemeine Praxis galt, Kirschverschnitt zu einem Literpreis von 1.80 Franken anzubieten und diesen als «Kirsch» zu bezeichnen. Da solche Kirschverfälschungen offenbar an der Tagesordnung waren, sah man von einer Weiterverfolgung ab.[174] 1911 zog sich Carolina Felchlin-Schuler aus dem Geschäft zurück, und ihre drei Söhne Nazar III., Alfred und Fritz übernahmen die Firma, die nun «Felchlin Frères & Co. Schwyz/Suisse» hiess. Derweil hatte ihr vierter Sohn Max 1908 als neuen Betriebszweig mit dem Honighandel begonnen, den man in der Folge als «Honigzentrale Schwyz» bezeichnete. Der aus dieser Zeit erhaltene Preiskatalog der Gebrüder Felchlin listete rund 200 Produkte (Öle, Essenzen, Extrakte, Farben, Drogen, Chemie etc.) mit Abkürzungen für die telegrafische Bestellung auf. 1913 gründete Carolina Felchlin-Schuler zusammen mit Nazar III. und Fritz die Kommanditgesellschaft «Felchlin & Cie.», 1916 schied Fritz aus, und Nazar III. geschäftete unter «Nazar Felchlin & Cie.» als Alleininhaber weiter. Die «Likörfabrik und Brennerei N. Felchlin & Cie.» verfügte 1932 über drei feststehende Brennblasen à 2 x 600 Liter und 1 x 35 Liter, was einem Gesamtblaseninhalt von 1’235 Litern entspricht.[175] 1953 wurde die Brennerei eingestellt.[176] Die aus dem Honiggeschäft erwachsene «Max Felchlin AG» feierte 2008 ihr 100-jähriges Bestehen und zog 2018 an den neuen Standort an die Gottharstrasse 11 in Ibach um. (korrigierte Fassung)
weniger Text
Literatur: Kleeb Ueli / Lötscher Caroline, CHRIESI, Kirschenkultur rund um Zugersee und Rigi, Zug, 2017, www.chriesi.ch. Texte auf Seiten 455–559 zum Kirschgewerbe 1–45 von Ueli Kleeb & Michael van Orsouw.
[168] — PA UK, AZRK, 1.2.0 Brennereien, Felchlin–Schindler, Schwyz; FA MF, Schwyz; PA AH, Seewen; Auskünfte Christian Aschwanden, Schwyz / Elisabeth Studer-Henggeler, Schwyz. [169] — FA MF, Schwyz. [170] — FA MF, Schwyz; Nekrolog Bote der Urschweiz, Alfred Schindler-Schuler, in: BU, 18.01.1929. [171] — PA AH, Seewen; FA MF, Schwyz. [172] — Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, «INSA, Inventar der neueren Schweizer Architektur, 1850–1920», Band 8, St. Gallen/Sarnen/Schaffhausen/Schwyz, Bern, 1996, S. 474–475. [173] — FA MF, Schwyz. [174] — Diverse Dokumente betreffend «Beanstandete Kirschlieferung durch einen Zuger Kirsch-Destillateur», in: StA ZG, CD 30, Gerichtswesen, Strafverfolgung, Strafvollzug, 1890–1914. [175] — Verzeichnis der Brennerei-Inhaber, Schwyz 1027, EAV, Bern. [176] — HR SZ.
[Abb. 0895] Inseratvorlage für «Crème de Kirsch» und «Kirsch vieux» der Destillerie «Felchlin Frères & Cie.» in Schwyz, ab 1911.
mehr Bilder
[Abb. 0896] Offizieller Eintrag der Firma «N. Felchlin & Cie., Distillateurs, Schwyz, Kirschwasser» von Nazar Felchlin und Alfred Schindler, als Fabrik- und Handelsmarke, 27. Juni 1881.
[Abb. 0897] Postkarte als Voranzeige für die Vertreterbesuche der «Grande Distillerie d’Eau de Cerises de Schwyz» von Alfred Schindler, ab 1891.
[Abb. 0898] Metallschild «Gde. Distillerie d’Eau de Cerises de Schwyz» von Alfred Schindler, ab 1891: Schindler schuf als Kunstmaler phantastische historisierende Gemälde und gestaltete Flaschenetiketten und Firmenschilder.
[Abb. 0899] Firmensitz der «Kirschdestillation Schwyz» von Alfred Schindler an der Bahnhofstrasse 160 in Seewen–Schwyz, 1894–1896.
[Abb. 0900] Visitenkarte «Distillerie d’Eau de Cerises C. Felchlin, Schwyz», ab 1892.
[Abb. 0901] Bocksbeutel-Flachmann «Kirschdestillation C. Felchlin» als Kirsch-Taschenproviant, ab 1892.
[Abb. 0902] Briefpapier «Gde. Distillerie d’Eau de Cerises de Schwyz» von Alfred Schindler, 27. Mai 1918.
[Abb. 0903] Retrokirschflasche als Kundengeschenk der Liftfirma Schindler in Ebikon, 1995: Alfred Schindler, Bruder des Liftpioniers Robert Schindler, malte die Etikettensujets selber.
[Abb. 0904] Rechnung für Kirschwasser der «Kirschdestillation, C. Felchlin, Schwyz», 2. November 1895: Die Firma wurde als «ältestes und ausgedehntestes Spezialgeschäft» bezeichnet.
[Abb. 0905] Flaschenetikette «Kirsch vieux» der «N. Felchlin & Cie., Distillerie d’eau de cerises, Schwyz», ab 1916.
[Abb. 0906] Preisliste «Max Felchlin, Schwyz, Honig-Import», Ostern 1924.
[Abb. 0907] Rechnung «Distillerie N. Felchlin & Cie. Schwyz» an die «Weinhandlung Arnold Dettling Brunnen», 1. Dezember 1942: Offenbar verkaufte man auch «Kirsch-Verschnitt».
[Abb. 0908] Sitz der «Max Felchlin AG» in «Liebwylen» bei Schwyz, 1959.
[Abb. neu] Leidbild von Max Felchlin-Fäh (1883–1970).
weniger Bilder
Bildarchiv: PA UK, Privatarchiv Ueli Kleeb Zug.
[Abb. 0895] FA MF, Firmenarchiv Max Felchlin Schwyz; [Abb. 0896/0897] PA AH, Privatarchiv Alois Horat Seewen; [Abb. 0898] PA PR, Privatarchiv Peter Rickenbacher Seewen; [Abb. 0899] PA AH, Privatarchiv Alois Horat Seewen; [Abb. 0900] PA AH, Privatarchiv Alois Horat Seewen; [Abb. 0901] FA MF, Firmenarchiv Firmenarchiv Max Felchlin Schwyz; [Abb. 0902] StA SZ, Staatsarchiv Schwyz (LV 73); [Abb. 0903] PA UK, Privatarchiv Ueli Kleeb Zug; [Abb. 0904] PA AH, Privatarchiv Alois Horat Seewen; [Abb. 0905] FA MF, Firmenarchiv Firmenarchiv Max Felchlin Schwyz; [Abb. 0906] PA AH, Privatarchiv Alois Horat Seewen; [Abb. 0907] FA MF, Firmenarchiv Firmenarchiv Max Felchlin Schwyz; [Abb. 0908] PA AH, Privatarchiv Alois Horat Seewen; [Abb. neu] StA SZ, Staatsarchiv Schwyz.