Kirsch, Most und
Bränz rund
um Zugersee und Rigi

Kirschgewerbe 26

Der Milchpionier setzt
auf Obstbau  

1883: Page, Cham/Hünenberg See [197]

Standort: Hünenberg – Langrüti 1.

Der amerikanische Unternehmer George Ham Page gründete 1866 die «Anglo-Swiss Condensed Milk Company» in Cham und produzierte Kondensmilch, die er in Büchsen abfüllte. In der «Langrüti» errichtete er zudem einen grossen Musterbauernhof und pflanzte in der Umgebung mehrere Tausend niederstämmige Apfelbäume, später auch Kirschbäume, die er aus Amerika importierte. Ab 1883 destillierte Page eigenes Kirschwasser, dessen Qualität er selber lobte. Von seinen Brennerkollegen und insbesondere von der «Kirschwasser-Gesellschaft in Zug» hielt er hingegen nicht viel und bezeichnete sie sogar als Fälscher.

 

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1883 trat eher überraschend ein Amerikaner im Kanton Zug als Kirschdestillateur in Erscheinung. Der Unterneh­mer George Ham Page (1836–1899) gründete 1866 zusammen mit seinem Bruder Charles Page (1838–1873) und weiteren Amerikanern die «Anglo-Swiss Condensed Milk Company» in Cham, um in Europa an günstiger Lage Kondensmilch in Büchsen her­zustellen und zu vermarkten. Allein in Cham verarbeiteten in Spitzenzeiten über 400 Arbeiter täglich 66’000 Kilogramm Milch von rund 1’300 Bauernbetrieben aus der weiteren Umgebung. Die «Milchsüdi» wurde damit zur bedeutendsten Arbeitge­berin der Gemeinde, das Unternehmen zu einem der grössten Milchnachfrager der Schweiz. Die Firma fusionierte 1905 zur Firma «Nestlé & Anglo-Swiss AG» mit Sitz in Vevey, bevor sie zum heute weltweit tätigen Grossunternehmen «Nestlé» wurde.[198]

 

Aufgrund der Milchverarbeitung hatte George Ham Page ständig mit einheimischen Bauern zu tun. Um ihnen zu zeigen, wie er sich eine mustergültige Landwirtschaft vorstellte, erwarb Page 1880 drei Bauernhöfe und Wald zwischen Cham, Holzhäusern und Hünenberg und fasste diese im Hof «Langrüti» zusammen. Auf dem neuen Musterbauernhof erstellte Page eine grosse Hofanlage mit mehreren Gebäuden, darunter auch eine Brenn- und Waschhütte mit Dörrofen und Holzschopf. Nach amerikanischem Vorbild baute er den Betrieb zu einem landwirtschaftlichen Muster­gut aus, wobei vor allem in die Viehzucht und in den Obstbau die neuesten Erkenntnisse einflossen. 1881 liess Page 12’000 niederstämmige Apfelbäume, darunter auch die bekannte Sorte «Jonathan», aus Amerika in die Schweiz liefern. Er setzte sie auf seinem landwirtschaft­lichen Musterbetrieb oder verkaufte sie den umliegenden Bauern für 1.50 Franken pro Stück. Die Lokalzeitung kommentierte begeistert: «Die Bäume, nämlich die amerika­nischen, sind niederstämmig und werden ähnlich wie unsere Zwergbäume enger an einander gesetzt, nur 3.5 Meter entfernt, weil der Amerikaner, wenn er eine Obstanlage macht, eben nur Obst will und keine Nebennutzung, auch kein Holz. Die Sache soll im besten Ge­deihen sein, ja die ältern Pflanzun­gen sollen bereits einen Apfel liefern, der an Güte, Frische, Schmackhaftigkeit und Most­ergebniss alle unsere bekann­­ten Sorten meist überragt.»[199]

 

Page liess später auch amerikanische Kirschbäume einführen, um eigenen Kirsch zu brennen. Vermutlich kultivierte er einige dieser Bäume auch auf der Alp «Horbach» am Zugerberg, die er 1884 dazukaufte. Beim Hof «Oberhorbach», der ebenfalls dem amerikanischen Unternehmer gehörte, gibt es immer noch Überreste einer Allee mit über 100-jährigen Kirschbäumen, die heute wieder kultiviert wird.[200] Über die Qualität seines eigenen Kirschwassers äusserte sich Page sehr löblich. Keine gute Meinung hatte er hingegen von anderen loka­len Kirschbrennern und ins­be­sondere von der «Kirsch­was­ser-Gesellschaft in Zug», die er als Fälscher betitelte. In einem Brief von 1883 schrieb Page über die Zuger Vereinigung: «Die produzieren die sau­bers­ten Fälschungen, die man sich vorstellen kann. Ich habe den eindeutigen Beweis, dass die keine Flasche reinen Kirschwassers herausgeben. Gewiss ist deren Kirsch kräftig; Kirsch hat immer diesen starken Geschmack. Sie verwenden Kartoffel-, Mais- oder irgend­eine andere Sorte von Schnaps, er muss nur billig sein.»[201]

 

Page lagerte sein Kirschwasser jeweils mindestens ein Jahr und bezeichnete die Flaschen mit dem Namen «Horbach». Erhalten geblieben sind George Ham Pages Lieferscheine von 1887 für Kirschwasser mit Jahrgang 1884 und mit dem Vermerk: «Dieses Kirschwasser ist aus bester Qualität Kirschen ohne irgend welchen Zusatz von Sprit oder anderer Ingredienzen unter möglichst niedri­ger Temperatur destilliert.»[202] Page hatte selber zu wenig Zeit, um auf seinem Musterhof zum Rechten zu schauen, und sein Bruder William Beede Page (1854–1906), den er als Gutsverwalter eingesetzt hatte, war mehr dem Obstbrand als dem Obst zugetan. 1894 verkaufte George Ham Page den Hof «Langrüti» in Hünenberg See an den Käse­exporteur Mau­rice Lustenberger aus Sursee.[203] 

 
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Quellen

Literatur: Kleeb Ueli / Lötscher Caroline, CHRIESI, Kirschenkultur rund um Zugersee und Rigi, Zug, 2017, www.chriesi.ch. Texte auf Seiten 455–559 zum Kirschgewerbe 1–45 von Ueli Kleeb & Michael van Orsouw.

 

[197] PA UK, AZRK, 1.2.0 Brennereien, Page, Cham/Hünenberg See; FA NE, Vevey; Auskünfte Michael van Orsouw, Zug. [198] Orsouw, Michael van / Stadlin, Judith / Imboden, Monika, «George Page. Der Milchpionier. Die Anglo-Swiss Condensed Milk Company bis zur Fusion mit Nestlé», Zürich, 2005, S. 126–129; Brief vom 05.12.1883, in: FA NE, Vevey; Preis-Courant vom 20.07.1887, in: FA NE, Vevey. [199] Artikel Neue Zuger Zeitung, «Cham», in: NZugerZ, Nr. 37, 11.05.1881. [200] Orsouw, Michael van / Stadlin, Judith / Imboden, Monika, «Adelheid. Frau ohne Grenzen. Das reiche Leben der Adelheid Page-Schwerzmann», Zürich, 2003, S. 115–130. [201] Orsouw, Michael van / Stadlin, Judith / Imboden, Monika, «George Page. Der Milchpionier. Die Anglo-Swiss Condensed Milk Company bis zur Fusion mit Nestlé», Zürich, 2005, S. 128. [202] Preis-Courant vom 20.07.1887, in: FA NE, Vevey. [203] Steiner, Hermann, «Seltene Berufe und Menschen im Zugerland», Luzern, 1984, S. 19–21.

[Abb. 0929] «Situationsplan der Langrüthi mit den zugekauften Liegenschaften» von George Ham Page zwischen Cham, Holzhäusern und Hünenberg, 1883.</p>

[Abb. 0929] «Situationsplan der Langrüthi mit den zugekauften Liegenschaften» von George Ham Page zwischen Cham, Holzhäusern und Hünenberg, 1883.

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[Abb. 0928] Der Hof «Langrüti» zwischen Cham, Holzhäusern und Hünenberg war ein Musterbetrieb, umgebaut nach amerikanischem Vorbild, um 1900.</p>

[Abb. 0928] Der Hof «Langrüti» zwischen Cham, Holzhäusern und Hünenberg war ein Musterbetrieb, umgebaut nach amerikanischem Vorbild, um 1900.

[Abb. 0930] Büchse «Condensed Milk» der «Anglo-Swiss Condensed Milk Co. Cham, Switzerland», ab 1867.</p>

[Abb. 0930] Büchse «Condensed Milk» der «Anglo-Swiss Condensed Milk Co. Cham, Switzerland», ab 1867.

[Abb. 0931] Lieferschein «Geo. H. Page, Cham, Schweiz», 20. Juli 1887: Page produzierte in der «Langrüti» Kirschwasser mit Jahrgang 1884.</p>

[Abb. 0931] Lieferschein «Geo. H. Page, Cham, Schweiz», 20. Juli 1887: Page produzierte in der «Langrüti» Kirschwasser mit Jahrgang 1884.

[Abb. 0932] Unternehmer George Ham Page (1836—1899), 1891.</p>

[Abb. 0932] Unternehmer George Ham Page (1836—1899), 1891.

[Abb. 0933] Milchfuhrwerke der «Anglo-Swiss Condensed Milk Co. Cham», 1899: In Spitzenzeiten verarbeiteten in Cham über 400 Arbeiter täglich 66’000 Kilogramm Milch von rund 1’300 Bauernbetrieben aus der Umgebung.</p>

[Abb. 0933] Milchfuhrwerke der «Anglo-Swiss Condensed Milk Co. Cham», 1899: In Spitzenzeiten verarbeiteten in Cham über 400 Arbeiter täglich 66’000 Kilogramm Milch von rund 1’300 Bauernbetrieben aus der Umgebung.

 
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Quellen

Bildarchiv: PA UK, Privatarchiv Ueli Kleeb Zug.

 

[Abb. 0928] FA NE, Firmenarchiv Nestlé Vevey; [Abb. 0929/0930] FA NE, Firmenarchiv Nestlé Vevey; [Abb. 0931/0932/0933] FA NE, Firmenarchiv Nestlé Vevey.