Im Kanton Zug existierten zahlreiche fahrbare Brennereien. Bei der traditionellen Störbrennerei reist der Destillateur mit seiner mobilen Maschine während den Wintermonaten zu den Bauern und brennt das zuvor vergorene Obst direkt vor Ort. Die älteste bekannte fahrbare Brennerei betrieb ab 1908 Josef Herrmann vom «Neufrauenstein» in Zug. 1918 siedelte er ins «Neuhaus» nach Baar um. 1953 wurde die Brennerei von Franz Roos vom «Schutzengel» in Baar gekauft und weiterbetrieben, 1990 übernahm sie Edi Bieri vom «Talacher» bei Baar. Seit 2010 gehört die Nachfolge-Brennerei, die während über 100 Jahren laufend erneuert wurde, Arnold Keiser aus «Notikon» bei Baar.
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Josef Herrmann-Hess/Huwyler (1869–1956) war ein tüchtiger Händler von landwirtschaftlichen Produkten und Getränken in Zug. Ab 1908 betrieb er eine dampfbetriebene Mosterei und fahrbare Brennerei im Hof Neufrauenstein an der Zuger Hofstrasse. Vermutlich im Jahr 1918 zog er um ins Neuhaus an der Zugerstrasse in Baar. Dank der Mithilfe seiner heranwachsenden Söhne war Herrmann als Geschäftsmann erfolgreich. Die Lohnbrennerei Herrmann verfügte 1932 über vier fahrbare Brennblasen à je 250 Liter, was einem Gesamtblaseninhalt von 1000 Litern entspricht.[226] 1933 vermietete Störbrenner Herrmann eine Brennblase an die Destillerie Etter in Zug, und eine Blase verkaufte er an die Eidgenössische Alkoholverwaltung nach Bern.[227]
1953 erwarb Franz Roos-Eiholzer/Lussy (1918–2003) vom Schutzengel in Baar die verbliebene Brennerei von Josef Herrmann. Roos betrieb die fahrbare Destillerie mit zwei Brennhäfen und zog im ganzen Kanton als Störbrenner von Hof zu Hof. Die Lohnbrennerei Roos brannte alles, was die Kunden wünschten, insbesondere aber Zuger Kirsch. Franz Roos pachtete nach 1973 zudem die Brennerei von Karl Nussbaumer in Morgarten und destillierte dort noch bis ins Jahr 1987. 1990 verkaufte Roos sein Brennereigeschäft an Edi Bieri im Talacher bei Baar.[228]
Dies führt zur Geschichte des Talachers. 1911 kauften Johann (1869–1937) und Maria Bieri-Lorch den Talacher, einen Bauernbetrieb von 1761/1762 mit Wirtshaus an der Hauptstrasse nach Ägeri, von der Familie Dossenbach. Im Brenn- und Waschhaus, dem heutigen Stöckli, befand sich damals eine konzessionierte Hausbrennerei, zwar ohne Wasserbad, aber mit direkter Feuerung. Möglich war nur das Brennen von Doppelbränden. Mit dieser Brennerei konnte das auf dem eigenen Hof geerntete Obst verarbeitet werden. Johann Bieri, genannt Jean, verfgte 1932 über drei feststehende Brennblasen mit einem Gesamtblaseninhalt von 250 Litern.[229] 1937 übernahmen Sohn Franz (1912–1967) und Agnes Bieri-Andermatt den Bauernhof und das Wirtshaus. In den 1950er-Jahren modernisierten die Bieris die Brennerei und statteten sie mit zwei Kippkesseln aus. Die neue Anlage machte es möglich, das Destillat in einem Durchlauf herzustellen. 1963 erhielt die Brennerei eine gewerbliche Konzession, die es erlaubte, Früchte hinzuzukaufen, zu destillieren und zu verkaufen.[230]
1970 bernahm Edi Bieri (*1942), der Sohn von Franz, die Gastwirtschaft und die Brennerei im Talacher als Pächter, 1977 konnte er die beiden Betriebe kaufen. 1983 erstellte Edi Bieri ein neues Gewerbegebäude, erneuerte die bestehende Anlage und erweiterte sie um eine 220-Liter-Brennblase. 1990 kaufte Bieri die fahrbare Lohnbrennerei von Franz Roos aus Baar mit 1200 konzessionierten Litern, inklusive Lohn- und Gewerbe-Konzession der Eidgenössischen Alkoholverwaltung. Diese Anlage wurde später durch eine neue fahrbare Anlage ersetzt, die drei Brennhäfen à je 710 Liter aufwies. Mit dieser Störbrennerei fuhr Edi Bieri im Frühling und Herbst zu den Landwirten in der Region und brannte die Maischen vor Ort. 1991 erweiterte er die Destillationsanlage nochmals. Mit der stationären Kundenbrennerei konnte Bieri auf die Kundenwünsche eingehen: Einmaischen, Destillieren, Herabsetzen, Abfüllen, Etikettieren. Die Palette wuchs stetig, bis es 32 verschiedene Produkte waren, vom Vieille Kirsch über Grappa bis zum Likör. 1999 kam die Herstellung von Single Malt Whisky dazu. Abnehmer waren die Brennerei Zgraggen in Lauerz (Swissky), die Metzgerei Limacher in Hünenberg (Chicken Hill) und die Destillerie Etter in Zug (Johnett).[231]
2009 verkaufte Edi Bieri die feststehende Brennanlage, 2010 ging auch die fahrbare Brennerei mit Lohnkonzession an Arnold Keiser (*1959) in Neunotikon bei Baar, der das Geschäft seither als Lohnbrenner weiterbetreibt.[232]
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Literatur: Kleeb Ueli / Lötscher Caroline, CHRIESI, Kirschenkultur rund um Zugersee und Rigi, Zug, 2017, www.chriesi.ch. Texte auf Seiten 455–559 zum Kirschgewerbe 145 von Ueli Kleeb & Michael van Orsouw.
[225] PA UK, AZRK, 1.2.0 Brennereien, Herrmann – Roos – Bieri – Keiser, Zug–Baar; Auskünfte Nelly Roos, Baar / Edi Bieri, Baar. [226] Verzeichnis der Brennerei-Inhaber, Baar 1401, EAV, Bern. [227] Nekrolog Zuger Nachrichten, Josef Herrmann-Hess/Huwyler, in: ZN, Nr. 53, 04.05.1956. [228] Steiner, Hermann, D Schnapsbrönni – ein Stück Nostalgie, in: Zuger Kalender 1990, Zug, 1990, S. 88. [229] Verzeichnis der Brennerei-Inhaber, Baar 1401, EAV, Bern. [230] Furrer, Benno, Gemeinde Baar, Häuser am Weg 6, Talacher – Grüt – Allenwinden, Baar, 2001. [231] Artikel Zuger Presse, Das Maximum aus der Frucht holen, in: ZP, Nr. 15, 16.04.2008. [232] PA EB, Baar; Artikel Neue Zuger Zeitung, Von der Kirsche zum Kirsch, in: NZugerZ, Nr. 235, 09.10.2010.
[Abb. 0965] Mosterei und fahrbare Brennerei von Josef Herrmann im Neuhaus an der Zugerstrasse in Baar, um 1918: Herrmann verfügte später über vier fahrbare Brennblasen mit einem Gesamtvolumen von 1000 Litern.
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[Abb. 0966] Rechnung der Mosterei und fahrbaren Dampfbrennerei von Jos. Herrmann, z. Neuhaus, Zugerstrasse, Baar, 10. November 1930.
[Abb. 0969] Fahrbare Brennerei von Franz Roos in Baar, April 1990.
[Abb. 0967] Reklame für Zuger Kirsch von Franz Bieri vom Talacker bei Baar, 1958–1959: Das Sujet ging aus einem Fotowettbewerb hervor.
[Abb. 0970] Etikette Füürwehr-Kirsch von Edi Bieri im Talacher, ab 1970.
[Abb. 0968] Doppelkropfflasche Zuger Kirsch von Franz Bieri vom Gasthof Bauernhof im Talacker, 1960.
[Abb. 0971] Fahrbare Brennerei von Arnold Keiser in Neunotikon, 2012.
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Bildarchiv: PA UK, Privatarchiv Ueli Kleeb Zug.
[Abb. 0965] SOV, Schweizer Obstverband Zug; [Abb. 0965] PA EB, Privatarchiv Edi Bieri Baar; [Abb. 0967/0968] PA EB, Privatarchiv Edi Bieri Baar; [Abb. 0969] PA NR, Privatarchiv Nelly Roos Baar; [Abb. 0970] PA EB, Privatarchiv Edi Bieri Baar; [Abb. 0971] PA UK, Privatarchiv Ueli Kleeb Zug.
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Literatur: Kleeb Ueli / Lötscher Caroline, CHRIESI, Kirschenkultur rund um Zugersee und Rigi, Zug, 2017, www.chriesi.ch. Texte auf Seiten 455–559 zum Kirschgewerbe 1–45 von Ueli Kleeb & Michael van Orsouw.